SBgR und VVN/BdA laden ein zur Ehrung von Wladimir Samoilowitsch Gall und Wassili Iwanowitsch Grischin

Eingangstor der Spandauer Zitadelle
Am 2. Mai um 15 Uhr an der Gedenktafel im Durchgang der Spandauer Zitadelle werden wir an das Ende des zweiten Weltkrieges denken und dabei besonders und exemplarisch an die Leistungen Wladimir Galls zur unblutigen Befreiung der Zitadelle. Spandau war spätestens seit Mitte April 1945 an den vielen Brücken über die Havel schwer umkämpft. Doch auch aus den nördlichen Waldgegenden kamen die Befreier. Die Kämpfe fanden ihr Ende mit der spektakulären Befreiungsaktion der Spandauer Zitadelle. Drin – Zivilbevölkerung, Alte, Kranke, Kinder, aber auch Soldaten und Offiziere der Wehrmacht. Draußen – Soldaten der Roten Armee, die den Befehl des Oberbefehlshabers, alles zu unternehmen, um sinnloses Blutvergießen zu vermeiden, umsetzen wollen.
Zuerst wenden sie sich über Lautsprecherdurchsagen und Flugblätter an die Insassen der Zitadelle:
„Soldaten und Offiziere! Die Zitadelle ist eingeschlossen. Von keiner Seite habt ihr Hilfe zu erwarten. Weiterer Widerstand ist sinnlos. Die Festungsmauern werden euch nicht vor dem sicheren Untergang retten. Eure einzige Rettung ist die Kapitulation! Um Blutvergießen zu verhindern, fordert das sowjetische Kommando euch auf, kampflos zu kapitulieren. Schickt Parlamentäre!“
In stündlichen Abständen senden sie die Aufrufe – geantwortet wird jeweils mit leichten Geschützen. Auch die Versuche einiger Einwohner Spandaus, darunter auch Frauen, selbst am Mikrofon zu sprechen, werden so beantwortet. Als sich eine Gruppe Spandauer Bürger mit dem Armeebeauftragten der NKFD (Nationalkommitee freies Deutschland), einer weißen Fahne und Briefen von Anwohnern und des Bürgermeisters auf den Weg begibt, ist nach zwei Stunden keine Einigung sichtbar. Sie haben durch Schießscharten mit den Offizieren sprechen und die Briefe übergeben können, erfolglos.
Am frühen Morgen des 1. Mai wird entschieden, dass Major Grischin und ein Freiwilliger als Parlamentäre die Verhandlungen in der Zitadelle führen wird. Alle melden sich, Wladimir Gall mit seinen guten Deutschkenntnissen wird ausgewählt (Konrad Wolf, im selben Bataillon, würde mit seinen akzentfreien Deutschkenntnissen den Offizieren eher unglaubwürdig erscheinen).
Schon der Weg an die Zitadelle heran ist überaus gefährlich – sie können die Läufe der Maschinenpistolen, die aus den Schießscharten auf sie gerichtet sind, bald sehen. Dann, vor dem Haus, dessen Tür durch einen Panzer vom Typ „Tiger“ verbarrikadiert ist, ruft Wladimir Gall aufs Geratewohl „Hallo“ und löst damit ein Gespräch und das Herunterklettern des Kommandanten und eines Offiziers aus. Die Verhandlung ist kurz. Sie umreißen die Frontlage, berichten, dass die sowjetischen Truppen schon bei Brandenburg stehen und erklären die Sinnlosigkeit weiteren Widerstandes. Dann erläutern sie die Kapitulationsbedingungen: Garantie für das Leben, ärztliche Hilfe für Kranke und Verletzte, ausreichende Verpflegung, Beibehaltung der blanken Waffen für höhere Offiziere.
Nach kurzer Besprechung antwortet der deutsche Oberst: „Ich wäre einverstanden, zu den von Ihrer Führung vorgeschlagenen Bedingungen zu kapitulieren. Doch es gibt einen Befehl des Führers: Wenn der Kommandant einer belagerten Festung oder der Kommandeur eines eingekesselten Verbandes eigenwillig kapituliert, so darf und muss ihn jeder beliebige ihm unterstellte Offizier erschießen und die Führung der Verteidigung selbst übernehmen. Deshalb wäre mein persönlicher Entschluss zu kapitulieren (er lächelt bitter), weder für Sie noch für mich von Nutzen. Ich schlage vor, dass mein Stellvertreter nach oben geht, allen Offizieren der Zitadelle Ihre Bedingungen mitteilt und mit ihrer Entscheidung zurück kommt.“
Die Offiziere, pflichtversessen wie sie erzogen wurden, verweigern die Kapitulation. Spontan entscheiden Gall und Grischin, selbst mit den Offizieren zu reden. Obwohl dem deutschen Offizier anzusehen ist, dass er diese Entscheidung für verrückt hält, stimmt er zu. Sie wählen also den ungeschützten Weg zum Gespräch mit den Offizieren, erklären diesen noch einmal, was sie bereits über die Lautsprecher und später direkt den beiden Offizieren erklärten und merken, dass sich jetzt Grüppchen bilden, die untereinander verhandeln. Die Unsicherheit der Offiziere ist zu spüren, der Oberst hält dann auch ein eher ‚windiges‘ Angebot bereit: Er gibt sein Ehrenwort, dass die Zitadelle in den wenigen Tagen bis zum nahen Kriegsende keinen Schuss mehr auf die Brücke abfeuern wird.
Dieser Kompromissvorschlag wird von Gall und Grischin zu Recht als Ablehnung des Kapitulationsangebotes gewertet und nach erneutem eindringlichen Hinweis auf die dann nur folgen könnende Einnahme der Festung durch die Sowjetarmee eine letzte Frist von drei Stunden eingeräumt. Der Weg zurück war erneut mit großer Lebensgefahr verbunden – sie werden mit der entsprechenden Freude vom Bataillon begrüßt. Die dreistündige Frist verrinnt – kurz vor ihrem Ablauf stehen Oberst Jung und Oberstleutnant Koch (Kommandant und Offizier, die als erste herabkletterten) vor ihnen und sagen den so ersehnten Satz: „Die Zitadelle kapituliert!“
Nachzulesen in:
Wladimir Gall: „Mein Weg nach Halle“ und „Moskau – Spandau – Halle“ sowie
Konrad Wolf: „aber ich sah ja selbst, das war der Krieg“ (Kriegstagebuch und Briefe 1942 – 1945)