Heute Nachmittag kamen die schriftlichen Auflagen – es folgt eine Auswahl und teilweise verkürzte Darstellung aus dem 9-seitigen Bescheid:
Sehr geehrte ….,
Sie haben für Samstag, den 19. August 2017 einen Aufzug zum Thema „Keine Heldenverehrung von Nazikriegsverbrechern in Spandau und anderswo“ angemeldet.
|….| Dazu wurde Ihnen mitgeteilt, dass für die von Ihnen angemeldete Wegstrecke bereits in großen Teilen eine weitere Anmeldung vorliegt, gegen die sich Ihre Demonstration wendet.Bei entsprechender Beauflagung wurde durch Sie ein Aufzug vom Bahnhof Spandau über Seegefelder Straße, Am Bahnhof Spandau, Brunsbütteler Damm, Elsflether Weg, Seeburger Straße, Schmidt-Knobelsdorf-Straße und Wilhelmstraße zur Versammlung „Kundgebung gegen Heldengedenken“ an der Wilhelmstraße 23 Ecke Gatower Straße favorisiert. Eine von Seiten der Berliner Polizei genannte Anpassung der Alternativstrecke von der Seeburger Straße über Blasewitzer Ring, Sandstraße, Heerstraße und Wilhelmstraße wurde von Ihnen verworfen. Es wurde gleichwohl angemerkt, dass ein Aufzug bis zu der o. g. Kundgebung wegen der Überschneidung mit dem Aufzug, gegen den Sie sich richten, nicht möglich ist. Folglich müsste Ihr Aufzug in der Schmidt-Knobelsdorf-Straße vor der Kreuzung mit der Wilhelmstraßebeendet werden. |….|
Nach Prüfung der Sach- und Rechtslage wird die Durchführung des vorgenannten Aufzugs gemäß § 15 Abs. 1 VersG von der Einhaltung folgender Auflagen abhängig gemacht:
- Die Nutzung der von Ihnen angemeldeten Aufzugstrecke wird ab Klosterstraße untersagt. Der Aufzug ist stattdessen vom Bahnhof Spandau über Seegefelder Straße, Am Bahnhof Spandau, Brunsbütteler Damm, Elsflether Weg, Seeburger Straße, Schmidt-Knobelsdorf-Straße bis vor die Kreuzung Ecke Wilhelmstraße zu führen und dort zu beenden.
- Für den im Aufzug mitgeführten Lautsprecherwagen wird eine Befreiung von den Vorschriften des § 21 der Straßenverkehrsordnung (StVO) zur Beförderung von Personen auf Ladeflächen von Lastkraftwagen und Anhängern erteilt, sofern diese Benutzer einer technischen Einrichtung (Lautsprecheranlage oder dergleichen) sind oder eine zwingende Funktion als Bedienpersonal zu erfüllen haben. Die Ladefläche ist seitlich mit einer zumindest provisorischen Absturzsicherung auszustatten. Die Versammlungsteilnehmenden auf dem Fahrzeug dürfen sich nur innerhalb des gesicherten Bereiches aufhalten. Die Befreiung gilt nur während und für die Dauer des Aufzuges und ausschließlich für Personen, die eine der vorstehend genannten Aufgaben wahrnehmen
- Das im Aufzug mitgeführte Fahrzeug muss im Frontbereich und beidseitig an jeder Achse durch Ordner/innen gesichert werden, um so ein etwaiges Überfahren von Versammlungsteilnehmenden zu verhindern. Die Ordner/innen müssen wie vorstehend beschrieben gekennzeichnet sein. Für Ordner/innen sowie für Fahrzeugführende gilt absolutes Alkoholverbot.
- Für die Umsetzung und Einhaltung der Auflagen zu 2. und 3. des Auflagenbescheides ist für das im Aufzug mitgeführte Fahrzeug vom Veranstalter bzw. Leiter vor Beginn der Versammlung ein spezielle/r Wagenverantwortliche/r zu bestimmen und der Polizeieinsatzleitung unter Angabe der vollständigen Personalien und des Kfz-Kennzeichens des Fahrzeuges schriftlich zu benennen. Ohne Einsetzung und Benennung von Wagenverantwortlichen darf kein Fahrzeug im Aufzug mitgeführt werden.
Begründung:
Nach § 15 Abs. 1 VersG kann eine Versammlung unter freiem Himmel von bestimmten Auflagen abhängig gemacht werden, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei der Durchführung der Versammlung oder des Aufzuges unmittelbar gefährdet ist. Dies ist vorliegend der Fall.
Der Begriff der öffentlichen Sicherheit umfasst die Individualrechtsgüter Leben, Gesundheit, Freiheit, Ehre, Eigentum und Vermögen des einzelnen und die Gemeinschaftsrechtsgüter Integrität der Rechtsordnung, Bestand und Funktionsfähigkeit des Staates und seiner Einrichtungen sowie seiner verfassungsmäßigen Ordnung.
Der Begriff Umstände umfasst Tatsachen, Verhältnisse, Sachverhalte sowie sonstige Einzelheiten. Umstände sind erkennbar, wenn sie offen zutage treten oder wenn sie der zuständigen Behörde bei ihren Bemühungen um Sachaufklärung zur Verfügung stehen.
Vorliegend sind hier folgende Umstände bekannt:
Der von Ihnen angemeldete Aufzug richtet sich gegen den Aufzug „Mord verjährt nicht, gebt die Akten frei – Recht statt Rache!“ eines anderen Einzelanmelders, welcher einen Bezug zu dem 30. Todestag von Rudolf Heß am 17. August 1987 im ehemaligen alliierten Kriegsverbrechergefängnis Berlin-Spandau aufweist. Dieser Aufzug ist aufgrund der genannten Thematik geeignet, Teilnehmende aus allen Teilen des rechten Spektrums zu mobilisieren. Derartige Veranstaltungen und Versammlungen der rechten Szene führen wie auch vorliegend meist zu erheblichen Gegenprotesten von Angehörigen der linken Szene und des bürgerlichen Bereiches.
Mobilisierung, Organisation und Anmeldung von Gegenveranstaltungen und Gegenversammlungen werden hierbei üblicherweise über ein Bündnis aller Beteiligten koordiniert. Im Wege der Gegenmobilisierung sind dabei auch regelmäßig Aufrufe aus dem extremistischen Bereich festzustellen, die eine Verhinderung oder Blockade der rechten Versammlung proklamieren oder sogar fordern, diese anzugreifen. Es ist weitreichend bekannt und bedarf keiner umfassenden Ausführung, dass es bei dem Aufeinandertreffen beider Lager mit groben gegenseitigen Störungen und sogar gewalttätigen Handlungen zu rechnen ist.Hierbei wird mit Slogans wie:
„Spandau wehrt sich – Keine Verehrung von Naziverbrechern – Stoppt den Rudolf Heß Gedenkmarsch“;
„Auf nach Spandau! Den Heß-Marsch in Berlin verhindern!“;
„Umso wichtiger ist es, den Heß-Aufmarsch am 19.08. zu verhindern und nicht zuzulassen, dass sich in Spandau ein neuerliches jährliches Heß-Gedenken etabliert!“
„Mit vollen Taschen und Tüten gegen Opfermythen – Naziaufmarsch in Spandau verhindern, Nazigedenken unmöglich machen“ |…| eindeutig zur Blockade bzw. Verhinderung des rechten Aufzugs aufgerufen.Wegen der besonderen Bedeutung der grundrechtlich verbürgten Versammlungsfreiheit für die Funktionsfähigkeit der Demokratie darf ihre Ausübung nur zum Schutz gleichwertiger Rechtsgüter unter strikter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit begrenzt werden (BVerfGE 69, 315, 348 f.). Dies gilt allerdings für alle Versammlungen, also auch für die, gegen die Sie sich mit Ihrem Aufzug richten.
Die Versammlungsfreiheit hat nur dann zurückzutreten, wenn eine Güterabwägung unter Berücksichtigung des Freiheitsrechts ergibt, dass dies zum Schutz gleichwertiger Rechtsgüter notwendig ist (BVerfGE, aaO, 353).Vorliegend sind bei dieser gebotenen Güterabwägung allerdings keine ggf. gleichwertigen Rechtsgüter mit dem Grundrecht auf Versammlungsfreiheit, sondern die Versammlungsfreiheit Ihrer Teilnehmenden mit der der Teilnehmenden des gegnerischen Aufzugs gegenüberzustellen. Grundsätzliche Prämisse dabei muss sein, eine Gewährung der Grundrechte aller Beteiligten mit möglichst geringen Einschränkungen zu gewährleisten. Das Versammlungsrecht gibt Ihnen als Anmelder zwar die Entscheidungsfreiheit über Zeit, Ort, Inhalt und Ausgestaltung der Versammlung, nicht aber die Dispositionsbefugnis darüber, welche Rechtsverluste Dritte hinzunehmen haben (BVerfG, Beschl. v. 14. Juli 2000 – 1 BvR 1245/00; VG Berlin, Urt. v. 23. Februar 2005 – VG 1 A 188.02,). Kommt es zu Kollisionen, ist deshalb zu prüfen, ob das Selbstbestimmungsrecht unter hinreichender Berücksichtigung der gegenläufigen Interessen Dritter ausgeübt worden ist (vgl. BVerfG, Urteil v. 24. Oktober 2001 – 1 BvR 1190/90, VG Berlin, Beschl. v. 5. Juli 2006 – VG 1 A 153.06, bestätigt durch OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 7. Juli 2006 – OVG 1 S 65.06).
Interessen der Teilnehmenden des rechten Aufzugs könnten bei der zeitgleichen oder zeitlich unmittelbar davorliegenden Nutzung Ihrer angemeldeten Aufzugsstrecke nicht ausreichend berücksichtigt werden, denn deren Anliegen wäre dadurch nicht zu verwirklichen.|….| Der rechte Aufzug ist dabei zumindest im dem Teilstück bis zum Melanchthonplatz zeitlich vor Ihrer Demonstration angemeldet worden. Aufgrund der geografischen Verhältnisse im Versammlungsraum und anderer zu beachtender Rechtsgüter ist es auch ab dem Melanchthonplatz nicht möglich, diesen Aufzug ohne erhebliche Gefahrenmomente anders zu führen als über die eigentlich von Ihnen angemeldete Aufzugsstrecke Wilhelmstraße, Gatower Straße, Heerstraße, Pichelsdorfer Straße und Wilhelmstraße <…> zum Antreteplatz zurück. Hierbei ist zu beachten, dass ein solcher Aufzug der rechten Szene wegen den zu erwartenden Gegenprotesten nicht einfach enden kann, sondern zwingend geschlossen zu einer leistungsfähigen Abstrommöglichkeit wie einem Bahnhof geführt werden muss. Dies entsprach im Übrigen auch der Intention der Veranstalter.
Verhältnismäßigkeit:
Die Auflagen sind aus den vorgenannten Gründen erforderlich und geboten, aber auch ausreichend. Die von Ihnen als Versammlungsort/Aufzugswegstrecke präferierten Örtlichkeiten kommen vorliegend aus den genannten Gründen nicht in Betracht.
Der zugewiesenen bzw. noch zu vereinbarenden Örtlichkeiten sind geeignet, das Grundrecht Ihrer Teilnehmer auf Versammlungsfreiheit und die Rechte Dritter in ausreichender Weise zu gewährleisten. Mildere Mittel kommen vorliegend nicht in Betracht.Rechtsbehelfsbelehrung:
Gegen diesen Bescheid ist der Widerspruch zulässig. Er ist innerhalb eines Monats nach Zustellung dieses Bescheides schriftlich oder zur Niederschrift bei dem Polizeipräsidenten in Berlin, Platz der Luftbrücke 6, 12096 Berlin, unter Angabe des Geschäftszeichens zu erheben. Es wird darauf hingewiesen, dass bei schriftlicher Einlegung des Widerspruchs die Widerspruchsfrist nur dann gewahrt ist, wenn der Widerspruch innerhalb dieser Frist eingegangen ist.Anordnung der sofortigen Vollziehung:
Gemäß § 80 Abs. 2 Nr. 4 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) in der zurzeit gültigen Fassung wird die sofortige Vollziehung des vorstehenden Bescheides angeordnet.
Wegen der begründeten unmittelbaren Gefährdung der öffentlichen Sicherheit kann der Ausgang eines eventuellen Rechtsstreites nicht abgewartet werden. Sie sind somit verpflichtet, auch dann die Auflagen einzuhalten, wenn Sie von dem vorgenannten Rechtsbehelf Gebrauch machen.
Gegen die Anordnung der sofortigen Vollziehung können Sie beim Verwaltungsgericht Berlin, Kirchstraße 7, 10557 Berlin, einen Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung stellen (§ 80 Abs. 5 VwGO).Mit freundlichen Grüßen
Im Auftrag
GallaNach Rücksprache mit unserem Anwalt wäre eine Klage auf unsere ursprünglich angemeldete Demoroute eher nicht erfolgreich. Charlottesville und Donald Trump sind gar nicht so weit weg vom Rot/Rot/Grünen Senat…..
[…] Schriftliche Auflagen zur Anti-Heß-Demo […]